Lateinschule Gleiberg

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Im Mittelalter gab es u.a. Kloster- und Dofschulen sowie teilweise auch Stadtschulen. Dorfschulen bzw. allgemeine Volksschulen entstanden meist aber erst im 17. und 18. Jahrhundert. Wenn um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Gleiberg eine Schule errichtet wurde, ist das ein ungewöhnlich früher Zeitpunkt. Er liegt in der Sondersituation der Burgsiedlung begründet. Sie erhielt 1331 Frankfurter Stadtrecht und war Verwaltungssitz für die Dörfer des Gleiberger Landes. Innerhalb der Stadtmauern lebten um 1550 rund 400 Einwohner. Es waren mehrheitlich Bedienstete der nassauischen Burgherren, Verwaltungsbeamte, Burgmannen und Handwerker. Vermutlich haben sie großen Wert auf eine gute Schulbildung ihrer Kinder gelegt und dürften deshalb die Einrichtung einer Schule gefordert haben.

Der erste Gleiberger Lehrer, Johannes Zigler, wird 1557 urkundlich genannt. Offensichtlich konnten Zigler und seine Nachfolger ihren Lebensunterhalt nicht aus den Einkünften als Lehrer bestreiten. Da die Lehrer damals mehrheitlich Theologie studiert hatten, besserten sie ihr Einkommen in vielfältiger Weise auf. Sie vertraten den Krofdorfer Pfarrer - später auch im Filialort Kinzenbach. In der Gleiberger Kirche verrichteten sie Hilfsdienste als Organist oder Küster. Mit ihren Schülern sangen sie bei Beerdigungen oder sie fungierten als Gemeinde- bzw. Gerichtsschreiber. Das knapp bemessene Grundgehalt der Gleiberger Lehrer führte dazu, dass sie ständig Anträge wegen Erhöhung ihres Einkommens stellten. Die Verweildauer auf der Gleiberger Lehrerstelle war kurz. Zigler stellte eine große Ausnahme dar und blieb immerhin 22 Jahre auf seiner Stelle. Aber seine sieben nachfolgenden Kollegen hielten es durchschnittlich nur gut zwei Jahre aus, meist auf der Suche nach einer lukrativeren Pfarrstelle.

Bei Kirchenvisitationen, d.h. Besuchen des Superintendenten eines Kirchenkreises in den Gemeinden, um vor Ort eine Bestandsaufnahme der inneren und äußeren Zustände vorzunehmen, mussten sowohl Pfarrer als auch Lehrer einen Fragenkatalog beantworten. Die Antworten von Erasmus Orlettius, der 1592 die Gleiberger Lehrerstelle innehatte, sind erhalten geblieben. Sie vermitteln interessante Einblicke in die damalige Schulwirklichkeit. Drei Punkte sind hervor zu heben.

Die Schule war formal dreigeteilt: a) eine „Elementarschule“, in der Grundkenntnisse im Lesen und Schreiben vermittelt wurden; b) eine „Mittelschule“, in der Deutschunterricht, das Lesen der deutschen Bibelübersetzung Luthers, aber auch Geschichte, Erdkunde, Naturkunde usw. fester Bestandteil des Unterrichts waren; c) eine „Höhere Schule“, in der Lateinunterricht erteilt, lateinische Schriftsteller gelesen und Grundkenntnisse der griechischen Sprache vermittelt wurden. Wenn die Kinder entsprechend begabt waren und ihre Eltern das nötige Kleingeld hatten, konnten die Absolventen der Gleiberger Lateinschule die Hochschulreife erwerben und anschließend eine Universität besuchen.

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Bilder Alte Gleiberger Latein

Unterrichtet wurde montags bis samstags jeweils sieben Stunden täglich. Allerdings waren die Unterrichtszeiten im Vergleich zu heute sehr ungewöhnlich, nämlich von 6-9 und 12-16 Uhr. Dazwischen mussten sich die Schüler vermutlich in Haus und Hof nützlich machen, Vieh hüten oder auf andere Weise in der Landwirtschaft helfen.

Trotz der o.g. Dreiteilung wurden die durchschnittlich 40 Schüler von einem einzigen Lehrer in einem Klassenraum gleichzeitig unterrichtet wurden.

Wie Lehrer und Schüler diese Situation bewältigt haben, ist aus heutiger Sicht schwer nachvollziehbar. Orlettius jedenfalls kam 1591 nach Gleiberg, trat schon im November 1593 eine Stelle als Rektor am heutigen Gymnasium Philippinum in Weilburg an und übernahm dann die Pfarrstelle in Kirchgöns.

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Ende des 17. Jahrhunderts gab es rund 80 Schüler in Krofdorf-Gleiberg, die bis 1815 gemeinsam die Schule in Gleiberg besuchten. Fettleibigkeit dürfte insbesondere unter den Krofdorfer Kindern, die täglich auf den Berg hinauf mussten, kaum verbreitet gewesen sein. Erschwerend kam hinzu, dass sie zeitweise noch Holzscheiter für den Schulofen mitbringen mussten. Wie der Schulbetrieb unter den mehr als beengten Verhältnisses ablief, ist nicht überliefert. Sicher ist, dass etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts die Gleiberger Lateinschule rasch an Bedeutung verlor und bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur noch die Funktion einer Volksschule hatte. Als wichtigste Gründe für den Bedeutungsverlust sind zu nennen:

a) die Zerstörung der Gleiberger Oberburg 1646;
b) die Verlegung des Amtssitzes von Gleiberg nach Atzbach 1734 und der dadurch bedingte Wegzug der Verwaltungsbeamten aus Gleiberg;
c) die zunehmende Verschiebung der Einwohnerzahlen zugunsten des Ortsteils Krofdorf;
d) die Konkurrenz des Gießener Pädagogiums.

Dennoch wurden bis 1919 die Kinder aus dem Ortsteil Gleiberg hier unterrichtet. Der letzte Lehrer in Gleiberg war Wilhelm Lochau. Als Verfasser eines Buches mit dem Titel „Heimatkunde des Kreises Wetzlar“ (1901 erschienen) war er damals weithin bekannt. Das Schulgebäude in der Torstraße, das lange Zeit auch als Kaplanei und Rathaus diente, wurde 1974 abgebrochen.

Text: Jürgen Leib und Manfred Schmidt

Bilder: Bürger*innen Gleiberg und Fotofreunde Krofdorf-Gleiberg

Literatur:

Heimatkunde des Kreises Wetzlar, Wilhelm Lochau, Wetzlar 1901, 183 Seiten mit einer Karte des Kreises Wetzlar.

Der Kreis Wetzlar, historisch, statistisch und topographisch, Friedrich Kilian Abicht, Wetzlar 1836-37, 3 Bände.

Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins in Gießen, Gießen 1892-96, Band 3-6.

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